„Auch im Handel besteht ein großer Fachkräftebedarf für Tätigkeiten, die nicht so ohne weiteres automatisiert werden können“, sagte die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg (HBW), Sabine Hagmann.
Bereits im Jahr 2018 habe man deshalb den neuen Ausbildungsberuf „Kauffrau/Kaufmann im E-Commerce“ ins Leben gerufen. Mit bundesweit 1400 Ausbildungsverhältnissen im ersten Jahr sei dieser jetzt schon ein „großes Erfolgsmodell“, so Hagmann.
Doch dabei könne es nicht bleiben. Die Modernisierung werde sich weiter fortsetzen und vorangetrieben werden. „Wir benötigen den E-Commerce-Fachwirt, wir fordern außerdem die Unterstützung von Aus- und Weiterbildung seitens der Politik und des Staates auf allen Ebenen, damit der Transformationsprozess im Handel gelingen kann“, so Hagmann.
„Die Digitalisierung führt zu einem tiefgreifenden Arbeitsplatzwandel, ein Arbeitsplatzabbau zeichnet sich dagegen nicht ab. Unternehmen und Beschäftigte müssen diesen Wandel leben und engagiert gestalten, damit wir unseren Erfolg auch im digitalen Zeitalter weiterführen können“, betonte Wirtschafts- und Arbeitsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut und sagte weiter: „Unser Ziel ist es, passende Rahmenbedingungen für Unternehmen und Beschäftigte zu schaffen, um die Chancen der Digitalisierung nutzen zu können.“ Die Ministerin wies darauf hin, dass das Wirtschaftsministerium im vergangenen Jahr rund 50 Millionen Euro in die Fachkräftesicherung investiert habe. Schwerpunkte der Förderung waren die berufliche Aus- und Weiterbildung, Lernfabriken 4.0, Welcome Center als Anlaufstellen für internationale Fachkräfte und Unternehmen, mehr Frauen in MINT-Berufe sowie das arbeitsmarktpolitische Angebot „Passiv-Aktiv-Tausch plus“.
In einem Vortrag über die Effekte der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt informierte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit: Der Effekt auf die Zahl der Arbeitsplätze durch die Digitalisierung sei laut IAB bis 2035 neutral. Bei einem deutlichen Strukturwandel werden sich 415.000 Arbeitsplätze in Baden-Württemberg verändern. Die Veränderungen seien je nach regionaler Berufs-, Wirtschafts- und Qualifikationsstruktur unterschiedlich. Um den Wandel gelingend zu gestalten, sei die Bereitschaft zu Aus- und Weiterbildung von Betrieben und Beschäftigten ausschlaggebend.
Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt und die Arbeitsplätze hängen maßgeblich von der Innovationskraft der Unternehmen und den Kompetenzen der Beschäftigten ab, betonte Hoffmeister-Kraut. Im Rahmen der Initiative Wirtschaft 4.0 fördere das Wirtschaftsministerium darum die Digitalisierung der baden-württembergischen Wirtschaft zielgerichtet, beispielsweise mit der Digitalisierungsprämie oder durch Digital Hubs, also regionalen Digitalisierungszentren. Die über 40 Bündnispartner waren sich einig, dass sie die mit der Digitalisierung verbundenen Herausforderungen und den tiefgreifenden Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam gestalten. Die Fachkräftesicherung sei eine Daueraufgabe und jeder Partner könne im jeweiligen Bereich einen wichtigen Beitrag dazu leisten.
Im Fokus der Fachkräfteallianz-Sitzung standen ebenfalls das jeweils zum Jahresbeginn in Kraft getretene Teilhabechancengesetz und das Qualifizierungschancengesetz. Außerdem waren das Fachkräfteeinwanderungsgesetz sowie das Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung, für welche erst vor Kurzem die Gesetzgebungsverfahren eröffnet wurden, Gegenstand der Diskussion. Die Partner der Fachkräfteallianz schrieben den neuen Gesetzen und Gesetzgebungsvorhaben überwiegend Chancen zu. Sie böten die Möglichkeit, die vorhandenen inländischen Fachkräftepotenziale durch Qualifizierung und die internationalen Fachkräftepotenziale durch Fachkräftezuwanderung besser zu erschließen.
Ministerin Hoffmeister-Kraut betonte, dass sie sich im weiteren Prozess zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz und zum Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung einbringen und für ein schnellstmögliches in Kraft treten einsetzen werde: „Der Wettbewerb um Fachkräfte und die zunehmenden Fachkräfteengpässe werden immer mehr zum Wachstumshemmnis für unsere Wirtschaft. Darum ist aus baden-württembergischer Sicht die Einwanderung von Fachkräften von entscheidender Bedeutung.“
Statements der Partner der Fachkräfteallianz
Christian Rauch, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit: „Mit dem Teilhabechancengesetz und dem Qualifizierungschancengesetz wurden Voraussetzungen geschaffen, weitere strukturelle Verbesserungen für Langzeitarbeitslose und Beschäftigte im Wandel zu erreichen. Es gilt nun, diese Möglichkeiten gemeinsam für die Betroffenen in Baden-Württemberg im Jahr 2019 zu nutzen.“
Dr. Rainer Dulger, Präsident der Landesvereinigung Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände: „Die mit dem ‚Qualifizierungschancengesetz‘, ‚Teilhabechancengesetz‘ und ‚Fachkräfteeinwanderungsgesetz‘ entstehenden Möglichkeiten sehen die Arbeitgeber Baden-Württemberg als eine Chance, unsere Unternehmen in der Fachkräftesicherung wirkungsvoll zu unterstützen. Es ist die richtige Trias aus der Qualifizierung der Belegschaften, der Aktivierung von Arbeitslosen und der Rekrutierung ausländischer Fachkräfte, die mit diesen drei Gesetzen angesprochen wird. Erst als Gesamtpaket wird daraus eine Fachkräftesicherungsstrategie.“
Wolfgang Grenke, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK): „Unsere Unternehmen können bis 2030 jede siebte Fachkraftstelle nicht besetzen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz kommt zwar spät, bietet den Betrieben aber eine zusätzliche Möglichkeit die dringend notwendigen Arbeitskräfte zu finden. Die geplanten Regelungen sind stellenweise immer noch recht restriktiv. Wir müssen aber anerkennen, dass es endlich gelungen ist, auf diesem schwierigen Terrain einen tragfähigen Kompromiss zu finden.“
Rainer Reichhold, Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstages e. V. (BWHT): „Zu einer arbeitsplatzbezogenen Zuwanderung gibt es keine Alternative, wenn wir eine Chance haben wollen, den Fachkräftemangel zu minimieren. Hierfür brauchen wir Lösungen sowohl zur Gewinnung neuer ausländischer Fachkräfte als auch klare, verbindliche Regelungen, die Rechtssicherheit für die bereits in Betrieben gut integrierten Mitarbeiter bieten. Die vorliegenden Gesetzentwürfe sind in den wesentlichen Punkten abgewogen. Weshalb sie jedoch erst zu 2020 in Kraft treten sollen, ist vor dem beschriebenen Hintergrund unverständlich. Wichtig ist, dass die Gesetze im nun folgenden parlamentarischen Prozess nicht verwässert und zügig verabschiedet werden.“
Martin Kunzmann, Landesvorsitzender DGB-Bezirk Baden-Württemberg: „Für den DGB ist eine sozialpartnerschaftliche Herangehensweise – Beteiligung der Beschäftigten, Mitbestimmung und Tarifbindung – der richtige Weg, um auch in einer digitalisierten Arbeitswelt gute Arbeit zu erhalten und zu schaffen. In zahlreichen Betrieben ist das auch heute schon gelebte Praxis. Die Politik hat die Aufgabe, Instrumente für umfangreiche Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zu schaffen. Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Zudem erwarte ich von der Politik Rückenwind für das gewerkschaftliche Engagement, die Tarifbindung zu stärken. Tarifbindung und Mitbestimmung müssen wieder die selbstverständliche Grundlage werden, auf der unsere Wirtschaftsordnung fußt.“